Die medizinische Notwendigkeit fehlt – dies ist ein sehr unangenehmer Satz, mit dem Versicherungen oftmals die Kostenübernahme einer zahnärztlichen Behandlung ablehnen.
Prof. Dr. Jörg Neugebauer, Vorstandsmitglied des BDIZ EDI, hat in seinem Webinar „Die Versicherung lehnt ab? Praxisbeispiele für die Begründung der medizinischen Notwendigkeit!“ im April aufgeklärt, auf was die/der Behandler*in achten muss, um die geplante (Implantat-)Therapie durchführen zu können.
Aus dem Interview:
Die Leistungspflicht besteht also auch im Bereich der PKV grundsätzlich nur für medizinisch notwendige Maßnahmen. Wie wird dieser Begriff definiert?
Prof. Dr. Neugebauer: Die Behandlungsmaßnahme ist laut BGH-Urteil aus dem Jahr 19961 medizinisch notwendig, wenn nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung es vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen.
Was ist vertretbar?
Der Versicherungsfall tritt dann ein, bzw. hängt von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung ab. Dann ist es notwendig, dass unser Patient eine Krankheit aufweist. Gerade in den vergangenen Monaten haben wir erlebt, wie wichtig die zahnärztliche Behandlung ist. Wer sie verschiebt, riskiert die Mundgesundheit. Wo fängt die Krankheit an und wie muss der Behandler vorgehen? Wenn der Zahn fehlt, haben wir eine Pathologie. Wichtig ist, dass wir diese Pathologie im Rahmen der entsprechenden Dokumentation auflisten; dass wir also den Befund notieren, von dem Befund die Diagnose ableiten, und die Diagnose ist natürlich Grundlage der Therapie. Diese Abfolge vermisse ich häufiger bei den Fällen, die zur Begutachtung auf dem Tisch liegen. Es fehlt die Dokumentation, es fehlt zum Teil die Diagnose-Erhebung. Vielmehr wird in den Fällen die Therapie lediglich nach einem Röntgenbild eingeleitet. Damit ist die Therapie nicht begründet und die medizinische Notwendigkeit ist nicht nachvollziehbar. Ergo: Für die Versicherung ist es ein Leichtes zu sagen: hier liegt ja gar kein Versicherungsfall vor, weil hier keine entsprechende Dokumentation gegeben ist. Kommen wir nochmals zurück auf die Vertretbarkeit der Maßnahmen.
Können Sie erklären, was der Beurteilung zugrunde liegt?
Sehr gerne! Wie wir ja wissen, ist jeder unserer Eingriffe eine geduldete Körperverletzung. Unser Justiziar, Professor Ratajczak, hat hier in der Vergangenheit ausführlich auf unsere unterschiedlichen Aufklärungspflichten hingewiesen. Wir müssen das, was wir tun, mit dem Patienten besprochen haben. Für die Beurteilung der entsprechenden Vertretbarkeit gibt es einen sogenannten Beurteilungskorridor, der nicht unbedingt wissenschaftlich gesichert oder anerkannt sein muss. Dies ist durch das bereits genannte BGH-Urteil abgesichert. Wenn wir also die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung berücksichtigen müssen, sind die gesamten medizinischen Erkenntnisse zu berücksichtigen – und somit haben wir also durchaus auch die Möglichkeit, alternative Methoden und Außenseiter-Methoden anzuwenden.